Ein Satter Sound
Steine im MAgen
Essen geht also nicht nur durch den Magen.
Auch nicht durch den Gaumen, kann doch
die Zunge einzig die vier Geschmackseindrü-
cke süß (Zungenspitze), sauer (Zungenränder
vorne), salzig (Zungenränder hinten) und bitter
(Zungenwurzel) unterscheiden. Weswegen
eine verschnupfte Nase und ein dadurch ge-
trübter Geruchssinn das Sterne-Menü beinahe
auf den Boden der pragmatischen Sättigung
zurückholen. Vor allem aber geht unser Essen
weite Wege. Weshalb unsere zunehmend
globalisierten Nahrungsmittel auch nach
logistischen Beweggründen designt werden.
So begann der Siegeszug des Toasts nicht
von ungefähr mit dem Zweiten Weltkrieg.
Die amerikanischen Truppen verlangten nach
einem haltbaren und effizient zu transpor-
tierenden Brot. Und auch der Fisch wurde
deshalb zum Fischstäbchen. Es ist einfach die
rationalste aller möglichen Formen. Und noch
ein Nahrungsmittel, das seine formelle Gestal-
tung dem Konzept der Mobilität verdankt: der
(Schokoladen-)Riegel. Er taugt zum Sinnbild
einer beschleunigten Nahrungsaufnahme,
wie sie der Publizist Peter Glaser einmal so
prägnant formuliert hat: „von den geregelten
Mahlzeiten zu den geriegelten“.
Unser Essen hat also eine Form. Und es hat einen Sound.
Dieses Schmatzen, Knacken, Bitzeln. Schon träumen
Sounddesigner davon, jedem Nahrungsmittel eine un-
mittelbare Klangsignatur einzuschreiben. Künftig könnte
man etwa eine bestimmte Biersorte bereits am Öffnen
der Flasche erkennen. „Glauben Sie mal nicht, das sei ein
Zufall, wie sich die Kaugeräusche bei Cornflakes anhören“,
sagt etwa Ercan Altinsoy, Dozent für Kommunikationsakus-
tik an der TU Dresden, „ein tiefer, voller Ton vermittelt uns,
dass wir in etwas Gehaltvolles beißen. Deshalb gefällt uns
das satte Crunchen von Cornflakes oder Müsli so gut, weil
es uns anzeigt, dass wir etwas essen, das unserem Körper
viel Energie liefert.“ Um aber den gewünschten Klang
etwa in einen Keks zu backen, investieren Unternehmen
eine Menge. Bei Bahlsen etwa dürfen bis zu 120 Test-Esser
kräftig zubeißen, jeder von ihnen verkabelt mit einem In-
Ohr-Mikrofon, das die Kaugeräusche aufzeichnet.
Bei all den von Produktdesignern und Klangforschern
optimierten Lebensmitteln war es indes nur eine Frage
der Zeit, bis sich auch Spitzenköche die Laborbedin-
gungen des Food Designs in ihrem Sinne aneignen. Die
Molekularküche steht für den gleichsam spielerischen wie
geschmacksintensiven Umgang mit den optimierten und
manipulierten Zutaten. Wobei eine gezielte Täuschung
unserer Sinne immer ein integraler Bestandteil jener schon
mal in schäumenden Reagenzgläsern servierten und um
Zutaten wie Kaolin, Stickstoff oder Lebensmittelfarbe
bereicherten Gerichte ist. Ein schönes Beispiel: die essbaren
Steine des spanischen Spitzenkoches Andoni Luis Aduriz.
So gut sahen Kartoffeln schon lange nicht aus.
Von Geregelten
Mahlzeiten zu
geriegelten
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Schindler Magazin
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