Abgelegener Geschmack
Rinde und Rentierflechte: Lokaler als
Magnus Nilsson kann man nicht kochen
Magnus Nilsson revolutioniert die nordische Küche
im Geheimen. Liegt doch sein Restaurant Fäviken
irgendwo in der nordschwedischen Einsamkeit –
und weitab von den feinen Adressen der Haute
Cuisine, wo der 29-Jährige in seiner ersten Karriere
gekocht hat. Über einen, der auszog, um zur
Essenz unseres Essens vorzudringen.
Wer es erst einmal bis nach Fäviken im abgelegenen Grenz-
gebirge zwischen Schweden und Norwegen geschafft hat,
lässt sich auch von Rentierflechten oder Wildforellenrogen mit
getrocknetem Schweineblut nicht schrecken. Vermutlich ist er
genau deshalb da. Nicht wegen des Bluts. Aber doch wegen
Magnus Nilssons sorgsamer Suche nach den Aromen. Weit hat
es der 28-jährige Koch dabei nie, außer Meersalz, Essig und
Meeresfrüchten kommen alle Zutaten aus dem eigenen Gar-
ten, vom eigenen Hof. Und vor allem aus den nahen Wäldern
und Seen, wo Magnus Nilsson – lange Haare, Zauselbart, halb
Rocker, halb Naturbursche – sammeln, jagen und fischen geht.
Auch für Nilsson selbst war es ein weiter Weg zu dieser
radikal lokalen Küche. Er führte ihn bereits als Teenager durch
die harte Kochschule Pariser Sternerestaurants. Dass er aber
schließlich irgendwo im Nirgendwo genau dieses Restaurant
eröffnen sollte, hatte mit dem Geschmack seiner Kindheit zu
tun. Mit dem Bauernhof der Großeltern. Und mit einem wach-
senden Misstrauen gegenüber jenem Hochleistungssport, zu
dem die Gourmetküche vielerorts geworden ist. Dutzende
Köche, Hunderte Gäste. Im Fäviken Magasinet gibt es vier
Köche und nur 16 Plätze. Und dass man einen dieser Tische
inzwischen 90 Tage im Voraus reservieren muss, hat auch mit
dem Hype um die neue skandinavische Küche zu tun. Und
damit, dass die einflussreiche San-Pellegrino-Liste das Fäviken
Magasinet im vergangenen Jahr auf Platz 34 der 50 besten
Restaurants der Welt notiert hat. Aus der Ferne könnte man
in Magnus Nilssons oft archaisch klingenden Rezepten – rohes
Rinderherz und raue Rinde – nun aber kalkulierte Provoka-
tionen vermuten, allzu schrille Erlebnisgastronomie. Nichts
aber trifft die Stimmung von Fäviken weniger als das: „Ich
habe diesen Ort genau betrachtet, die lokalen Bedingungen
und die Produkte, die hier oben wachsen. Plötzlich ergab es
einfach Sinn, genau so ein Restaurant zu machen.“
Das Buch
Wer dieses Buch in den Händen hält
– mattes Papier, in Leinen gebunden –
bekommt durchaus ein Gespür dafür, mit
welcher Sorgfalt Magnus Nilsson seine
Dinge tut. Das Kochen, das Gärtnern.
Das Karottenschälen: „In meinem bishe-
rigen Berufsleben“, so der Sternekoch,
„habe ich immer versucht, Dinge jedes
Mal ein wenig besser zu machen, egal
ob es sich um eine Kleinigkeit wie die
Reinigung der Arbeitsfläche oder um
etwas Wichtiges wie das Garen eines
Vogels oder das Schälen einer Karotte
handelt.“ Ein wortwörtlich essenzielles
Buch.
——
„Fäviken”
Magnus Nilsson, Edel/Phaidon 2013,
272 Seiten, 49,95 Euro.
Jakobsmuschel auf einem Bett aus
glühenden Wacholderzweigen
– frischer Wacholderzweig (für das
Feuer)
– sechs absolut frische, komplett sand-
freie und lebende Jakobsmuscheln, in
der Schale
– etwas Heu mit hohem Kräuteranteil
oder frisches Moos (zum Servieren)
– Brot und Butter
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