Nur: Wie riecht Berlin? Und vor allem: Wie rekonstru-
iert man diesen Geruch?
Man geht an einen Ort und riecht. Das ist einerseits ein
Talent, andererseits ein Lernprozess. Für eine Arbeit des
Künstlers Jeppe Hein haben wir einmal den Geruch der
Kunsthalle Bern konserviert. Mein Parfümeur hat also
diesen Ort in sich eingesogen und in seinem Labor wieder
abgerufen und aus seinen Duftessenzen zusammengefügt.
Das funktioniert?
Unser Erinnerungsvermögen an Gerüche ist ja ohnehin
fantastisch. Viel besser als unser Erinnerungsvermögen an
Bilder oder Geräusche. Ja, mehr noch, oft sind gerade die
Gerüche Eselsbrücken zu Bildern in unserem Kopf. Ich weiß
etwa noch genau, wie ein Urlaub an der spanischen Atlan-
tikküste gerochen hat, und habe dann auch gleich wieder
Motive aus diesem Urlaub im Kopf, eine alte Frau etwa, die
auf einer Fensterbank lehnt.
Robert Müller-Grünow
hat das
bei Köln ansässige Unternehmen
Scentcommunication 1998 gegrün-
det und konzipiert
seitdem Duftkonzepte
für Automobilhersteller,
Hotelketten oder auch für
einen Flachbildfernseher.
Zudem arbeitet er immer
wieder mit zeitgenössi-
schen Künstlern zusam-
men. Auch mit Schindler
hatte Müller-Grünow
bereits zusammengearbeitet: „Der
Aufzug ist ohnehin ein ganz großartiger
Ort für einen Duftdesigner. Einerseits ist
er räumlich klar definiert. Andererseits
steht er schon sinnbildlich für konkrete
olfaktorische Herausforderungen. Viele
Menschen auf engstem Raum, und alle
riechen anders. Vor allem: Sie riechen.“
Unser Experte
Aber sind es nicht umgekehrt auch die Bilder, die uns
weismachen wollen, wie etwas zu riechen hat?
Auch das. Wir riechen, was wir sehen, na klar. Deshalb
muss ein komponierter Duft immer schlüssig zu seiner vi-
suellen Erscheinung passen. Wenn eine absolut artifizielle,
technoide Umgebung plötzlich nach einer Frühlingswiese
riecht, würde unser Gehirn dem misstrauen. Oder nehmen
Sie diesen typischen Neuwagengeruch. Den gibt es eigent-
lich gar nicht, ein billiger Kleinwagen riecht total anders
als ein Luxuscoupé mit Holzinterieur und Ledersitzen. Weil
wir das, was wir da riechen, aber an das Bild eines neuen
Autos koppeln, stecken wir die jeweils sehr intensiven Ge-
ruchseindrücke eben in diese Schublade Neuwagengeruch.
Unsere Sinne führen uns also an der Nase herum?
Vermutlich haben wir ein Stück weit verlernt zu riechen.
Früher ging man auf den Markt, roch das Obst und das
Gemüse. Heute liegt alles eingeschweißt im Supermarkt,
da kann man nicht mehr der Nase nach entscheiden. Man
sollte also schon in der Schule, nein, im Kindergarten anfan-
gen, den Geruchssinn zu lernen und zu trainieren. Schließ-
lich ist er einer unserer elementarsten Sinneseindrücke.
Reduktion auf das Wesentliche
Fragment einer Statue von der griechischen
Insel Keros, 2700 vor Christus
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Schindler Magazin
Riechen
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