Auch wenn die Geschmacksrezeptoren auf der Zunge
sitzen, prägt auch der Gaumen unsere kulinarischen
Vorlieben. Er registriert nämlich ganz genau, ob ihm Form
und vor allem Konsistenz eines Nahrungsmittels tatsächlich
munden. Als etwa die Besucher der Weltausstellung 1904
in St. Louis zum ersten Mal von der Zuckerwatte naschen
durften, waren sie von der leichten, faserigen Struktur faszi-
niert. Geschmeckt hat die Zuckerwatte indes nach – nichts.
In einer um einige Etagen höher angesiedelten Küche folgt
die Weinbergschnecke demselben Prinzip. Ihr Reiz liegt in
ihrer gummiartigen Konsistenz, geschmacklich dominieren
indes die Marinade, Knoblauch und Kräuter.
In einer handelsüblichen Tüte Gummibärchen
dominieren seit Mitte der Neunzigerjahre
die roten Bären. Die Kunden selbst hatten
die Firma Haribo in unzähligen Briefen und
Anfragen darum gebeten, just diese Farbe
überproportional oft einzutüten. Die roten
Bären, offizielle Geschmacksrichtung Erdbeer
beziehungsweise Himbeer, würden einfach
am besten schmecken. Stimmt aber gar nicht.
Jedenfalls schneidet bei Blindverkostungen in
der Regel der farblose Bär (Geschmacksrich-
tung Ananas) am besten ab. Nun lieben wir
aber seit jeher rote Nahrungsmittel, vermutlich
weil sie uns an reife Früchte erinnern. Japaner
übrigens würden sich bereits auf den ersten
Blick für den weißen Bären entscheiden. Da
Reis als Grundnahrungsmittel in ihrer kulina-
rischen DNA einprogrammiert ist, präferieren
sie weiße oder farblose Speisen.
Food Design
Vieles, was wir essen, ist etwas
designt – über die Kunst und die
Macht von gestalteten
Nahrungsmitteln
Guter Geschmack
ist Gefühlssache
rot schmeckt
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Schindler Magazin
Schmecken
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