Von Henry Ford stammt das schöne Bonmot, man könne sein legendäres T-Modell in jeder
Farbe bekommen. „Vorausgesetzt, es handelt sich dabei um Schwarz.“ Das erzählt viel über
die Sturheit eines großen Industriellen. Und noch mehr über das Farbspektrum einer sich
industrialisierenden Welt. Noch war das Maschinenzeitalter so sehr von seiner unmittelbaren
Ästhetik berauscht, dass all die Stahlkonstruktionen, Dampflokomotiven oder Automobile
silbergrau waren wie das Eisen. Oder schwarz wie die Kohle.
Mehr als hundert Jahre, nachdem das Ford T-Modell zum ersten am Fließband produzierten
Bestseller der Automobilgeschichte geworden war, sieht zumindest das deutsche Straßenbild
wieder ganz ähnlich aus: Mehr als zwei Drittel aller im vergangenen Jahr verkauften Neuwa-
gen waren schwarz (33 Prozent), silber beziehungsweise grau (32 Prozent) oder weiß (13 Pro-
zent). Erst danach trieben es blaue Autos ein wenig bunter. Was Mark Gutjahr, Farb­entwickler
beim weltweit führenden Hersteller von Autolacken, BASF Coatings in Münster, nicht wirklich
verwundert: „Tatsächlich fahren die Deutschen farblich eher zurückhaltend. Darin spiegelt sich
auch unsere kollektive Identität. Seriosität und Understatement sind wichtig, besser nichts zu
Exaltiertes. Aber ich habe die begründete Hoffnung, dass die Mobilität wieder farbenfroher
wird.“
Eigentlich nämlich ist Farbe doch allgegenwärtig, da unsere sichtbare Welt nun einmal eine
farbige Welt ist. Als primäres Wahrnehmungsmerkmal und emotional aufgeladenes Medium
prägt Farbe unsere Umgebung. Dennoch, oder eben gerade deshalb, bleibt die Frage nach der
richtigen Farbe, so Farbdesigner Gutjahr, auch eine Frage nach dem richtigen Maß: „Natürlich
spiegelt eine Farbe immer auch den Zeitgeist. Aber die Mode wäre für einen Farbdesigner
ein schlechter Verbündeter: Ein grell-pinker Sneaker ist vielleicht ein cooler Hingucker für die
nächsten Monate. Eine Autofarbe muss über Jahre funktionieren. Wir machen Produkte, die
langlebig sind – die können und dürfen nicht rein modisch sein, sie müssen Bestand haben.“
5,7 Jahre lang ist ein deutscher Autokäufer im Schnitt mit seinem Fahrzeug unterwegs. Und
das ist noch vergleichsweise kurz in der Relation zur Lebensdauer einer Einbauküche, der
Fassadenfarbe eines Mehrfamilienhauses oder der Corporate Colour einer Partei oder eines
DAX-Konzerns. Kurz: So grell die Wirkung einer Farbe sein kann, so klug will sie auch gewählt
werden. In Italien beispielsweise gilt es als größtmöglicher Unfall, in der Farbgestaltung eines
neuen Einkaufszentrums auf die Vereinsfarben eines in der Region nicht besonders wohl ge-
Eine Farbenlehre
Warum wir es nicht allzu
bunt treiben sollten
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Schindler Magazin
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