Zum Beispiel der Faustkeil. Ein cleveres Ding, vorne durch-
dringend spitz und hinten zupackend rund. Das Universal­
werkzeug der Altsteinzeit. Oder das Rad, diese revoluti-
onäre Form. Bereits im vierten Jahrtausend vor unserer
Zeitrechnung wurde in Mesopotamien der Warenverkehr
mit geräderten Holzkarren ins Rollen gebracht. Nur: War
das bereits Design? Waren unsere frühesten Vorfahren
demnach nicht nur Jäger und Sammler – sondern auch
Designer?
Das Werden der Welt ist indes ein evolutionärer Prozess.
Und nicht alles, was auf diesem Weg gefunden wurde,
wurde auch erfunden. Design aber, und das wäre bereits
die erste Definition, ist immer auch eine theoretische Re-
flexion der Dinge. Nicht bloß ein ganz praktisches Machen
und Tun. „Der vermutlich erste Designer war ein Tischler:
Michael Thonet“, sagt Andrej Kupetz, selbst ausgebil-
deter Industriedesigner und Geschäftsführer des Rates
für Formgebung in Frankfurt am Main, „an der Schwelle
zum Industriezeitalter wollte Thonet die Produktion von
Stühlen industrialisieren, suchte nach Verfahren und einem
ent­sprechenden ästhetischen Ausdruck – und landete mit
seinem Bugholzstuhl Nr. 14 den vermutlich ersten inter­
nationalen Designklassiker.“
Die schöne Tochter der Industriealisierung
Der Stuhl Nr. 14, der klassische Wiener Kaffeehausstuhl,
wurde 1859 vorgestellt und acht Jahre später auf der
­Pariser Weltausstellung mit einer Goldmedaille gekürt.
­Diese Auszeichnung hatte das Sitzmöbel aber eben nicht
nur für die ergonomisch angenehme Sitzposition bekom-
men und für seine harmonisch ausgewogene Gestaltung.
Die Rückenlehne aus gebogenem Buchenholz erinnert
an den Körper einer Violine. Gewürdigt wurde gerade
der Geist, dessen Kind der Kaffeehausstuhl war. Denn die
­Suche nach einer möglichst ästhetischen Form einerseits
und einer technologisch modernen, effizienten Produk-
tionsweise andererseits definierte gleichermaßen den
Gestaltungsprozess. Das also war es, was man künftig
Design nennen sollte: das Entwerfen eines Produkts unter
den Bedingungen der industrialisierten Massen- oder zu­
mindest Manufakturproduktion. Das designte Ding denkt
schon in seinem Entwurfsstadium daran, dass es später
einmal tausend-, ja sogar millionenfach existieren soll.
Bis ins 19. Jahrhundert war die Formgebung hingegen ein
Handwerk. Und ein Schreiner beispielsweise entwickelte
seine Vorstellung eines Schrankes mit jedem Schrank neu.
Natürlich wuchsen dabei sein Wissen und seine ­Perfektion,
natürlich griff er immer wieder auf bereits etablierte tech­
nische Lösungen und ästhetische Formen zurück. Doch
die Dombauhütten des Straßburger Münsters, dieses
größten, kunstfertigsten Bauwerks des Mittelalters, waren
eben längst noch keine Architektur- oder Designbüros. Die
Prozesse des Entwerfens und des Erschaffens waren noch
nicht voneinander getrennt.
Auch Gert Selle, Deutschlands bedeutendster Design-
historiker und Autor der „Geschichte des Designs in
Deutschland“, sieht das Design als die schöne Tochter der
Industrialisierung. Mit dem industriell erzeugten – also
fabrizierten – Produkt emanzipierte sich der Gestaltungs-
prozess. Letzterer wurde zur Aufgabe von Ingenieuren und
Formgebern beziehungsweise Produktgestaltern, erst ab
den 1960er-Jahren hat sich in Deutschland der Begriff des
Designers etabliert. Aus Einzelanfertigungen waren nach
einem Warenmuster (dem „Dessin“) gefertigte Massenarti-
kel geworden. Und diese stachen von nun an um so mehr
aus der Masse heraus, je besser eben ihr Design war.
Bugholzstuhl Nr. 14
(hängend) von
Michael Thonet aus dem Jahr 1859, darunter
das Thonet-Modell 107, das den Kaffeehaus-
Klassiker zeitgemäß interpretiert
Sparschäler „Rex“,
Schweiz 1947, Design
Alfred Neweczerzal
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Schindler Magazin
Schön und gut
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