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GUNTER DUECK ÜBER
I NNOVAT I ONEN
„Wir brauchen eine
Lust am Neuen“
INNOVATIONEN HABEN ES SCHWER – SAGT
G U N T E R D U E C K
– ÜBERALL NUR ZAUDERER
UND ZÖGERER . WANN FANGEN WIR ENDLICH AN,
OFFEN FÜR NEUES ZU SEIN? EIN PLÄDOYER DES
EHEMALIGEN IBM-CHEFDENKERS FÜR DIE INNOVATION
Alle wollen Innovation! Neues soll geboren
werden, es soll Wohlstand und Heil über die
Erde bringen. Wir alle wünschen uns die Inno-
vation so sehr. Sie ist unser Wunschkind. Ich
stelle mir Innovation wie ein neues Kind vor.
Und wie das so ist mit den Wunschkindern: Es
soll etwas Besseres werden. Es soll anders sein
und für mich im Alter sorgen. Ich wünsche es
mir ganz unkonventionell, ein Future Native. Es
soll die alten Zöpfe abschneiden und uns Alte
dafür begeistern, die Augen nach vorn zu rich-
ten. Aber dann, ach, dann wird es geboren - es
schmatzt und sabbert, tölpelt herum, schläft
nicht, schmutzt und will immer wieder ein neues
Smartphone. Dann erziehen wir es: „Pass auf,
hab Acht. Sieh dich vor, lass das. Andersherum,
man macht das so, du bist zu klein, das kannst
du nicht und du darfst es nicht. Es ist gefährlich,
alles ist gefährlich.“ Es soll erst einmal so wer-
den wie wir - und DANN neu, frisch und risiko-
bereit. So ist unser Innovationsverständnis. Wir
wünschen uns Neues. Ganz neu soll es sein, aber
lieber doch nicht „völlig“ anders.
Aber so geht es nicht. Es ist wie Losfahren mit
Handbremse. Wer oder was bremst uns denn?
Ich liebe die Gegenüberstellung des zwang-
haften und des hysterischen Prinzips aus dem
berühmten Buch Die Grundformen der Angst
von Fritz Riemann (1961). Psychologen sagen,
das Zwanghafte sei eine Art Angst vor Verän-
derung und Wandel, das Hysterische sei eine
Angst, dass alles genauso bleibt, wie es immer
ist. ,,Papa, mir ist langweilig!“, quarrt das wilde
Wunschkind Innovation.
Dieser Papa, das ist nun also eine zwanghafte
Persönlichkeit, bewahrend, stoisch, ja sturr: Die-
se Persönlichkeit zielt auf Recht und Ordnung,
wahr und falsch, jede Frage hat eine richtige
Antwort, sie liebt Kontrolle, Macht und Beherr-
schung. Alles muss perfekt sein. Sie ist gewis-
senhaft, ehrgeizig, ausdauernd, hartnäckig,
sauber und sachlich. Sie strebt nach Sicherheit,
Eigentum, ist deshalb vorsichtig und sparsam.
Sie ist bodenständig, konservativ, konsequent
und immer verlässig. Unter Stress stur und rau-
chend ärgerlich.
Hysterische Innovationen
Daneben nun also die Innovation, das hyste-
rische Kind: Sie möchte ein anregendes, inte-
ressantes, spannendes Leben voller Abwechs-
lung und Abenteuer, dafür sind ihr auch Risiken
recht (,,no risk, no fun“). Sie ist impulsiv, unter-
nehmungslustig, liebt die Show, das Stehen
im Mittelpunkt und den damit verbundenen
Applaus. Sie giert nach Kontakten, begeistern-
den Momenten, neuen Ideen. Gleichzeitig ist sie
unstet, oberflächlich und immer auf der Suche
nach Neuerungen.
Innovation ist ,,hysterisch“. Und wer einmal in-
novative oder auch nur hysterische Menschen
kennengelernt hat, weiß, dass solche Zeitge-
nossen – eben – anstrengend sind. Sie strengen
uns an, unseren Geist, Intellekt, unsere Nerven.
Innovation ist also ,,hysterisch“, Aber passt das
zum normalen Leben in Deutschland? Ist das
nicht eher – zwanghaft. Wenn wir einmal von
Menschen im engeren Sinne absehen und über
andere Kategorien nachdenken – können Sie
mir die folgende Feststellung nachfühlen?
Wissenschaft ist zwanghaft.
Da ist alles wahr und falsch, sorgsam bewiesen
– da wird nicht spekuliert und phantasiert! Je-
der Gedanken wird erst die Absolution (der wis-
„Crazy Duck“: Gunter Duecks
Gedanken beginnen gerne
mit einem P: Pointiert,
präzise, punktgenau.
senschaftliche Beweis) erteilt, dann kommt der
nächste Gedanke. Und dieses Beweisen nimmt
dann 999 Promille aller Zeit ein. Wissenschaft-
ler sind nämlich ausdauernd und hartnäckig ...
Sie verstehen schon, was ich meine. Der Elfen-
beinturm ist nicht hysterisch. Natürlich gibt es
ab und an Innovationen durch Einstein, Daimler,
Reis oder Zuse. Aber die sind meistens nicht so
wirklich an der Universität entstanden. Sie wur-
den von Menschen erdacht, die sich mindestens
mit einem Bein schon in diesen wilde Leben da
draußen vor den Elfenbeintürmen gewagt hat-
ten.
Wer aber wilde Kinder methodisch zähmt, nor-
miert oder verdirbt sie. Wer Innovationen nach
zwanghaften Prinzipien hervorbringen will,
normiert sie erfolgreich und macht sie dadurch
erfolglos. Die Wissenschaft und die Kopfphilo-
sophie bringen keine Kunst, keine Musik, keine
Dichtungen hervor und genauso wenig Innova-
tionen – solange sie ihre starre formale Trocken-
heit nicht infrage stellen. „Die Schöpfer alles
Neuen sind von den Musen besessen.“ Platon
meint, dass Dichter nicht bei Besinnung seien
und ihre Kunst nicht auf Sachverstand, sondern
auf göttlicher Begeisterung beruhe. Sic! Das gilt
für Innovation auch.
Wer zuletzt lacht
Begeisterung! Ich schaue mich um. Wo ist sie?
Was uns fehlt, ist das Anerkennen positiver Sei-
ten des Hysterischen in uns. Wir müssen die im-
plizite Angst rund um Sicherheit und Ordnung
in uns mildern und mehr Spannung, Unterneh-
mung und Abwechslung lieben.
Das erste mir bekannte grobe Innovationspha-
senmodell stammt von Arthur Schopenhau-
er. Von ihm stammt der Satz: Jede neue Idee
durchläuft drei Entwicklungsstufen: In der er-
sten wird sie belacht, in der zweiten bekämpft,
in der dritten ist sie selbstverständlich. Zuerst
lachen wir über die Protagonisten einer Idee!
Die ersten Handy-Besitzer wurden als eitle
Dandys wahrgenommen, die sich laut labernd
wichtig machten, sie breiteten banal öffentlich
ihr Privates im Zug oder Restaurant aus, so
wie heute die wieder in einer nächsten Runde
ausgelachten Trivialtwitterer oder Facebookies
(,,Ich habe überall Fußpilz, Mutti darf es nicht
merken“).
In einer zweiten Phase, wenn zum Beispiel
plötzlich alle im Internet sein sollen oder alle
ein Smartphone ständig empfangsbereit halten
sollen, schreit die bisher schweigende oder ät-
zende konservative Mehrheit laut auf und bläst
zum Kampf. Jetzt tragen die Gegner Kampfbü-
cher wie Digitale Demenz von Manfred Spitzer
(Kampfruf der Stammtische: ,,Klicken macht
dumm!“) oder Das Glück der Unerreichbarkeit
von Miriam Meckel (Kampfruf: ,,Ich bin doch
kein Hausdiener!“) wie Waffen vor sich her.
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