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ie grundsätzliche Verantwor
tung für die Sozial- und Ge
sundheitspolitik liegt bei den
Mitgliedstaaten. Die Europäische Uni
on hat im Bereich der Sozialpolitik er
gänzende, in den Europäischen Ver
trägen festgelegte Kompetenzen. Die
wirtschaftliche Integration hat jedoch
auch eine soziale Dimension und
wird häufig sozialpolitisch flankiert.
Die europäische Sozialpolitik hat des
wegen zunehmend an Bedeutung
gewonnen. Kommissarin Marianne
Thyssen, die innerhalb der EU-Kom
mission für die Bereiche Beschäfti
gung, Soziales, Qualifikationen und
Arbeitskräftemobilität zuständig ist,
erläutert im Interview strategische
Ansätze und künftige Herausforde
rungen ihrer Arbeit.
Die EU-Kommission hat mehrfach an-
gekündigt, im Rahmen des Binnen
marktes stärker auch auf die Bedeu-
tung sozialer Aspekte hinzuweisen,
um diese zu stärken. Welche Rolle
spielt dabei die Errichtung einer „so-
zialen Säule“?
Ich glaube, dass die Förderung einer
zunehmenden Konvergenz sowohl in
nerhalb als auch unter den Mitglied
staaten – hier insbesondere inner
halb der Eurozone – eine der größten
Herausforderungen für die EU dar
stellt. Deswegen möchte ich auch die
Entwicklung einer Säule der sozia
len Rechte voranbringen. Ein derarti
ger Bezugsrahmen wäre hilfreich für
ein Leistungsscreening im Beschäfti
gungs- und Sozialbereich und kann
als Kompass für die Konvergenz in
nerhalb des Euroraumes dienen. Sie
ist zugleich ein Mittel für die weitere
Vertiefung der Wirtschafts- und Wäh
rungsunion. Die Säule sozialer Rech
te sollte einerseits gewährleisten, dass
die Werte und sozialen Grundsätze der
Europäischen Union in der modernen
Arbeitswelt geschützt werden, und an
dererseits die Wirtschafts- und Sozial
politik vereinen, die wirtschaftliches
Wachstum, die Schaffung von Arbeits
plätzen und die Produktivität fördern.
Prioritäten der Juncker-Kommission
sind die Vereinfachung von Regelun-
gen sowie ein Fitness-Check beste-
hender Vorschriften. Welche konkre-
tenAuswirkungen und Entwicklungen
sehen Sie bezogen auf den Bereich
Sicherheit und Gesundheit bei der
Arbeit?
Arbeitsplätze und Wachstum stehen
imMittelpunkt der Kommissionsagen
da. Das heißt, umfassender Schutz für
Beschäftigte, um ihre Gesundheit und
Sicherheit zu gewährleisten. Gleichzei
tig gilt es aber sicherzustellen, dass die
Vorschriften auf allen Ebenen zweck
gemäß sind und die Wettbewerbs
fähigkeit fördern.
Die EU-Gesetzgebung zum Thema
Sicherheit und Gesundheit amArbeits
platz ist ein umfassendes Gebilde aus
24 EU-Richtlinien, angesammelt über
einen Zeitraum von mehr als 25 Jah
ren. Es deckt sämtliche berufliche
Risiken ab, sorgt für einen Mindest
standard beim Schutz aller Beschäf
tigten innerhalb der EU und schafft
gleiche Wettbewerbsbedingungen für
Unternehmen in der EU. Wir evaluie
ren nun dieses umfassende Paket an
EU-Gesetzgebung. Dazu gehört auch,
mögliche Vereinfachungen zu identi
fizieren und bürokratischen Aufwand
Gemeinsame Werte und
soziale Grundsätze der EU
MARIANNE THYSSEN
EU-Kommissarin für
Beschäftigung, Soziales,
Qualifikationen und Arbeits-
kräftemobilität
INTERVIEW
Positionsbestimmung
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DGUV Jahrbuch 2015/16