Berlin
Provinz vs. Berlin
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tip Campus
April 2013
»Berlin ist wunderbar,
aber die Stadt lenkt mich viel
zu sehr vom Studium ab«
„Berlin ist eine ganz wunderbare Stadt! Nur
leider auch voller Ablenkungen. Auf mein Stu-
dium konnte ichmich nie richtig konzentrieren,
weil meine Freunde und meine sonstigen Pro-
jekte immer wichtiger waren. Nach einem ge-
scheiterten Berlin-Studium habe ich mich des-
halb an der Uni Cottbus eingeschrieben. Meine
WG in Berlin wollte ich aber nicht aufgeben,
also bin ich regelmäßig hin- und hergefahren.
In der Regionalbahn konnte ich mich wunder-
bar aufs Lernen konzentrieren! Aber auf Dauer
war das Pendeln zu anstrengend. Mittlerweile
studiere ich in Jena auf Lehramt und habe auch
meinen Wohnsitz dorthin verlagert. Eine ganz
andere Art des Studierens: Hier identifizieren
sich die Studenten mit ihrer Uni, das kannte ich
so bisher nicht. Wenn in Berlin irgendetwas
von der Uni angeboten wird, wird das doch gar
nicht wahrgenommen. In Berlin gibt es ja schon
genug Programm. In Jena gestalten die Studen-
ten ihr studentisches Leben aktiv mit, die Uni
ist ihr Lebensmittelpunkt. Das macht auch das
Kennenlernen viel einfacher. Über verschiede-
ne studentische Initiativen habe ich hier schnell
neue Freunde gefunden.“
Felix Schumann, 26, hat
Berlin verlassen und stu-
diert jetzt Deutsch und
Geografie auf Lehramt in
Jena. Seit er der Stadt den
Rücken gekehrt hat, kann
er sich viel besser auf sein
Studium konzentrieren.
Nach Berlin kommt er aber
immer wieder gern zurück:
Er ist hier aufgewachsen
und hat hier viele Freunde.
»Ich möchte in einem Umfeld
leben, in dem nicht allen
alles egal ist«
„Die Stadt scheint einen bestimmtenTypMensch
anzuziehen: Leute, die sich auf nichts so richtig
festlegen wollen, Leute, die nicht über das Mor-
gen nachdenken wollen, sondern nur im Hier
und Jetzt leben. In Berlin leben heißt für viele,
dass „alles total easy“ ist, ganz nach demMotto
„Was du heute nicht schaffst, das machste halt
morgen“. Und deshalb kann man sich in Berlin
auf niemanden verlassen! So habe ich es zumin-
dest empfunden. Oft wurden Verabredungen
einfach vergessen oder ich habe Absagen in
letzter Minute bekommen, hier ist alles so un-
verbindlich. Damit kann ich nichts anfangen.
Daher ist es mir auch sehr schwergefallen, einen
Freundeskreis aufzubauen. Die paar Leute, die
ich kannte, haben über die ganze Stadt verstreut
gewohnt. Was für ein Aufwand, bis man sich
verabredet hat – und dann ständig die Fahrerei
mit der Bahn! Deshalb habe ich Berlin wieder
verlassen. Seit April wohne ich jetzt wieder in
Franken, ich werde meinen Master in Bamberg
machen. Von meinem Umzug in die Kleinstadt
erhoffe ich mir, Menschen kennenzulernen, die
nichts von der Berliner Unverbindlichkeit mit-
bringen. Die dürfen auch gerne etwas spießiger
sein, aber dafür auch zielstrebiger. Ich möchte
in einem Umfeld leben, in dem die Menschen
aufeinander achten – und nicht in einer Stadt,
in der allen alles egal ist.“
Sandra Müller, 24, kommt
aus Franken und ist zum
Studium der Europäischen
Ethnologie nach Berlin ge-
gangen, da sie hier den
Studiengang toll fand. Weil
aber in Berlin alles so un-
verbindlich war, ist sie zu-
rück nach Franken gezogen
und macht jetzt ihren Mas-
ter in Bamberg.
»Das Überangebot der Stadt
hat mich unter Druck gesetzt«
„Berlin ist die Stadt der verpassten Möglich-
keiten. Jeden Abend könntest du Tausende
Sachen machen – aber richtig einlassen kannst
du dich in Wirklichkeit doch nur auf ein oder
zwei Angebote. Viele Leute haben schon ein
schlechtes Gewissen, wenn sie einen Abend
mal „nur“ zu Hause sitzen, um ein gutes Buch
zu lesen. Auch ich habe mich von dem Überan-
gebot der Großstadt zu sehr unter Druck set-
zen, mich von der Hektik und dem Stress der
Großstadt regelrecht überrennen lassen. Das
hat mir nicht gut getan. Nachdem ich in Berlin
mein Abitur amOberstufenkolleg gemacht ha-
be, bin ich deshalb zum Studieren in eine sehr
viel kleinere Stadt gezogen. Greifswald hat nur
50000 Einwohner, davon sind 12000 Studen-
ten. Aber dennoch hat auch Greifswald einiges
zu bieten: Es gibt fünf Studentenclubs und ei-
nige Bars und Cafés. Das ist natürlich längst
nicht so viel wie in Berlin. Aber es reicht mir
völlig! Pro Abend gibt es hier ein oder zwei
Sachen, die man machen kann, und entweder
man geht raus oder man bleibt eben einen
Abend zu Hause – und zwar ohne Angst zu
haben, Tausende Möglichkeiten zu verpassen.“
Lea Schmitz, 24, ist in Ber-
lin aufgewachsen. Auf die
Hektik des Großstadtlebens
hatte sie keine Lust mehr,
deshalb ist sie nach dem
Abitur weggezogen. Sie
studiert jetzt Skandinavis-
tik in Greifswald.
Für viele auch schön: Münster
Schön: Wo sich Pferd und Dackel Gute Nacht sagen
Fotos: M. Großmann / pixelio.de (links), Doris Rennekamp / pixelio.de
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